Ich habe schon kleine Kinder belächelt, die Angst vor dem Frisör haben. Haare abschneiden tut halt nicht weh. Dachte ich immer.
Auf Empfehlung, habe ich heute einen Frisör in einem anderen Stadtteil aufgesucht, weil ich immer noch auf der Suche nach einem Frisör bin, der einen astreinen GI schneiden kann. Eine kleine türkischstämmige Hairstylistin sollte dies beherrschen.
Als ich den Laden betrat, war ich zunächst alleine (das hätte mich stutzig machen können). Nach wenigen Sekunden kam eine ältere Dame mit leicht birnenförmiger Statur und viel zu großem Brillengestell aus einem Hinterzimmer in Richtung Empfang. Ich schätze die Dame so auf ca. 120 Jahre.
Wortlos nahm sie mir die Jacke ab und hängte sie auf einen Bügel, der an einem Draht von der Decke hing. Das war also die Garderobe. Schick, schick. Ne, ehrlich: Das sah wirklich gut aus – fast ein Kunstwerk. Überhaupt war der Laden sehr stylisch. Ein weißer Tannenbaum, stilvolle Schaufensterdekoration, edle Einrichtung. Also von daher: nix zu meckern. Aber die 120 Jahre alte Frau machte mich stutzig.
Nachdem ich mit Umhang (Aufschrift: „Geile Frisur – Wow!“) und Halskrepp versehen war, fragte sie: „Wie darf ich schneiden?“ – es war ein leicht polnischer Akzent herauszuhören. „Ich hätte gerne einen GI-Schnitt. Seiten bitte 6 Millimeter.“ – „Oben länger?“ – „Jo, nicht zu kurz – und je eckiger, desto besser! Ich hab da zwei gemeine Wirbel, aber das sehen sie ja gleich.“.
Die Dame nahm einen Haartrimmer in die Hand und schnitt die Seiten mit einer Geschwindigkeit, bei der ich mich fragte, wann die Dame wohl nachts losgeht, damit sie morgens im Laden ist. Verzweifelt warf ich durch den Spiegel meine Blicke durch den Raum und suchte irgendeinen Meisterbrief an der Wand. Ich meine: Jeder pisselige Friseurladen hat an der Wand einen Meisterbrief hängen!! Hier fand ich nichtmal die Bescheinigung von Wella, dass man 1968 einen Dauerwellen-Contest gewonnen hat – und nun schnippelte diese Frau, die zwei Weltkriege erlebt haben muß, an meinen Haaren herum und biss sich mit den Zähnen zwischendurch angestrengt auf die Unterlippe.
Himmel Herrgott! Ich bin kurz davor, meinen Atheismus abzulegen und ein Stoßgebet gen Himmel zu schicken!
Als sie mit den Seiten fertig war, fragte sie: „Und oben? Soll ich machen erstmal 20 Millimeter mit Maschine?“. Obwohl sich mein Magen bereits verkrampfte und sich ein leichter Schweißfilm in meinen Handinnenflächen bildete, schaute ich so ruhig und gelassen, wie ich konnte. „Nun, die kürzeste Stelle bei so einem GI ist ja nun hier oben“ – wobei ich mit meinem rechten Zeigefinge kurz auf meinen Hinterkopf zeigte. „Ich glaube nicht, dass das mit zwei Zentimetern hinhaut.“.
Wahrscheinlich hat sie 10 Kinder großgezogen – und jetzt sitz ich fetter Schnösel da und sag der Bäuerin, wie sie mir die Haare zu schneiden hat. Zumindest teilten mir ihre Augen etwas in der Richtung mit. Beharrlich fragte sie: „Machen wir 20 Millimeter mit Maschine?“. Gut. Ich resigniere: „Wenn Sie meinen. Machen Sie mal, wie Sie meinen.“ Jetzt kam sie ins Grübeln und griff zur Schere. NEEEIIIINNNN!!!!! Nicht freihändig!! *Schnipp* Die ersten Haare fielen. „Machen wir mit Schere und können korrigieren mit Maschine.“. Jetzt hatte ich Angst! Hoffentlich bleibt sie bei 20 Millimeter – dann kann ein anderer Frisör noch was rausholen.
Plötzlich öffnet sich die Eingangstür und eine kleine türkischstämmige Angestellte kommt herein. Da war ich mir sicher: Gorbatschows Worte funktionieren auch im umgekehrten Sinne: „Wer zu früh kommt, den bestrafen die Frauen bestraft das Leben“. Wunderbar! Arschkarte!
Während die alte Dame ihre sagenhaft geschwungenen, knochigen Finger durch mein Haar pferchte, fragte ich mich, ob es überhaupt möglich ist, an diesen Fingern etwas gerade abzuschneiden. Andererseits lag die Schere ja an zwei Punkten auf den Fingern auf – wird schon gehen. Ging aber leider nicht wirklich.
Nach 20 Minuten – ohne Einsatz eines Föns oder Wasser aus der Sprühflasche – holte sie tatsächlich den Spiegel von der Wand. Ich sah aus, wie Kraut und Rüben! „Da ist Wirbel – deswegen Haare platt.“. Watt is los? Ich mach gleich auch mal Wirbel, dann ist aber die Frisöse platt! Nein, nein – nicht sagen, was Du denkst. Bleib diplomatisch!
„Können wir vielleicht mal etwas Gel reinmachen, um zu sehen, ob das gerade ist? Ich habe nämlich nicht den Eindruck!“. Dann kam er wieder – der „Ich-Hab-Schon-Zehn-Kinder-Großgezogen-Blick“ – aber es gab Gel – und zwar reichlich. Sie badete ihre Hände darin, als sei es Palmolive im Colgate Palmolive Hausfrauenstudio der 80er Jahre Werbespots. Immerhin habe ich mich geruchlich gleich auf das Hinterzimmerniveau des Eierbergs eingependelt. Großartig! Wo ist der Goldketten-Stand?
Das Gel kam rein und – oh Wunder! Der Fön wurde eingesteckt. Zu meinem Leidwesen aber nur, um die restlichen Haare wegzupusten – nicht etwa, um meine Haare aufzustellen. Hätte aber auch wenig gebracht, denn es war ganz offensichtlich, dass wir von einem einwandfreien GI soweit weg waren, wie Pinguine vom Nordpol! Wieder kam der Griff zum Spiegel. Nein, nein – alte Dame. Zehn Kinder – ok, Respekt, aber die Kritik hörst Du Dir jetzt an. „Darf ich mal Ihren Kamm haben, bitte?“. Jetzt wußte sie, dass der Blick nicht hilft und gab mir ihren Kamm. Den steckte ich längs in meine Haare und balancierte ihn einigermaßen aus. „Sehen Sie? Hier müssten Sie im Idealfalle eine Wasserwaage anlegen können. Sie haben zwar offensichtlich fast alles gleich lang geschnitten, aber keinen GI! Das ist rund – nicht eckig!“.
Zu meinem Leidwesen versuchte sie eine Korrektur. Und zwar in brettharten gegelten Haaren! Das ging gar nicht – zumal vorne bereits die Haarlänge fehlte, um es überhaupt zu korrigieren. Ich ließ sie machen – zu retten war das eh nicht mehr.
Ab heute kriegen weinende Kinder auf Frisörstühlen von mir kein gemeines Grinsen, sondern einen mitleidigen Blick aus tiefstem Herzen von mir zurück. Versprochen, Kinder!
Mein Mitleid Soulkeeper. Auch wenn mein letzter Frisörbesuch Ewigkeiten her ist, und es sehr wohl Zeiten bei mir gab, wo der Frisör bei mir auch was zu tun hatte, gerne habe ich mir noch nie die Haare schneiden lassen, schon als kleiner Junge nicht. Und das obwohl ich mich an kein negatives Erlebniss, was mich vielleicht traumatisiert haben könnte erinnern kann. Kopf hoch Soulkeeper, bei dir wachsen sie ja noch nach.
Eben, einfach nachwachsen lassen … bei Dir funktioniert das wenigstens noch. Es soll ja Leute in Deinem Freundeskreis geben, die wären froh, wenn es noch Haare zum Verschneiden gäbe. 😉 Und wenn alle Stricke reißen, gibts eben für zwei Wochen mal einen GI a la Marines, Seiten 3 und oben 9 mm.
Ich würde übrigens das nächste Mal nicht zum Schneiden hingehen, sondern um zu zeigen, wie eine ordentliche Frisur aussieht.
Armer alter Mann. Den Rest auch einfach abrasieren 😉
Bei dem Text fällt mir immer wieder das Sprichwort ein: „Traue nie einem Friseur, welcher eine schlechte Firsur trägt!“